Nach der Geburt übersahen Ärzte, dass Celine an einer Stoffwechselkrankheit leidet
Wenn ein Kind das Essen verlernt
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* VON ANDREA DRESCHER 

Wie ein kleiner Papagei: Celina spricht jedes Wort nach, das sie hört. Für ganze Sätze reicht's dagegen noch nicht. Auch beim Laufen wackelt sie noch umher. Für ihre Mutter Daniela Jäger (30) ist jeder Schritt, jedes Wort dennoch ein Erfolg. Denn bis vor etwa einem halben Jahr konnte ihre Tochter weder sprechen noch laufen. Dabei wird Celina im Februar drei Jahre alt. 
"Sie ist auf dem Stand eines eineinhalbjährigen Kindes", sagt Daniela Jäger und streicht ihrem Töchterchen über die blonden Haare. "Überall ist sie hintendran." Und ob sie jemals alles aufholen und in eine normale Schule gehen kann ist ungewiss. Viel zu spät wurde festgestellt, dass Celina unter Phenylketonurie, einer 

Noch vor einem halben Jahr hätte Celina aufgrund ihrer Krankheit mit Steckspielen nichts anfangen können.  Bild: ad
  

  
 

Stoffwechselstörung, leidet. Ihr Körper kann Eiweiß nicht abbauen - und baut daher Muskeln ab. 
Das tragische daran: "Hätte man von Anfang an auf die Ernährung geachtet, hätte sie sich normal entwickelt", erklärt Daniela Jäger. Doch warum auch immer war die Krankheit bei der Routine-Untersuchung des Blutes gleich nach der Geburt im Labor nicht entdeckt worden. Und da Celina einen großen und gesunden Bruder hat, wären auch die Eltern nicht darauf gekommen, dass mit der Tochter etwas nicht stimmt. 
Diese "Schlamperei", wie Daniela Jäger sagt, hat Celine ein normales Leben verbaut. Lange galt das Mädchen zwar als "normal" und allenfalls als "e bissele ful", weil sie nicht laufen lernte und viel schlief. Erst als sich mit zwei Jahren immer noch nichts tat und auch die Erfolge bei der Krankengymnastik ausblieben, wurde das Kind erneut untersucht - und Phenylketonurie festgestellt. 
Seither darf sie so gut wie kein Eiweiß mehr essen, also keine Milch, keinen Joghurt, nur Medizin, Kohlenhydrate und Fette. Und  natürlich Vitamine. 
 
 
Celina verweigert Nahrung 

Bloß: Celina schmeckt das alles nicht. "Sie verweigert die Nahrung, die sie eigentlich essen soll", klagt Daniela Jäger. Gerade schiebt sich ihre Tochter einen Spezial-Cornflake in den Mund - und spuckt ihn wieder aus, verzieht das Gesicht. "Es schmeckt ihr alles zu fade." Immerhin durfte Celina eineinhalb Jahre lang essen, was andere Kinder ihres Alters essen. Also auch mal Süßigkeiten, Schokolade. 
Und jetzt? "Wenn sie nicht essen will und man sie zwingt, bricht sie." Deshalb muss ihre Mutter Celina viermal täglich über eine Magensonde ernähren, denn "von dem, was sie zu sich nimmt, könnte sie sonst nicht leben." Das Mädchen hat inzwischen verlernt zu essen. 
Celina zu ernähren heißt, den ganzen Tag abwiegen, messen, rechnen - und auch zum Essen motivieren. Wenn sie dann tatsächlich mal ein paar Löffel Reis oder ein Stückchen Obst zu sich nimmt, muss Daniela Jäger die spezielle Sondennahrung entsprechend umstellen. Wenn das Kind bricht, wird es noch schwieriger. 
Eine Erleichterung" ist der Computer, der 

ihr vom Verein "Spatz" zur Verfügung gestellt wurde: In ihm sind die Lebensmitteldaten und Celinas "Werte gespeichert - für Daniela Jäger eine Hilfe beim ständigen und für ihre Tochter so lebensnotwendigen Berechnen jeder einzelnen Mahlzeit. Die Krankenkasse wollte die 500 Mark für das Gerät nicht bezahlen. Auch eine Waage zum Abwiegen der Lebensmittel wurde nicht genehmigt. "Weil diese ja auch für andere diätische Zwecke verwendet werden könnte", wurde Familie Jäger in der Absage erklärt. 

Kleine Fortschritte 

Dabei macht Celina Woche für Woche Fortschritte, seit sie anders ernährt wird. "Früher war sie grob, aggressiv", erzählt Daniela Jäger. Das hat sich geändert: Celina mausert sich zum Schmusekätzchen. 
Im Frühjahr, wenn sie drei ist, soll das Mädchen in einen Förderkindergarten gehen. Wenn es klappt, wäre das der nächste Erfolg. Zumal sich Celinas Mutter sicher ist: "Hätten wir noch ein halbes Jahr gewartet, hätten wir ein total behindertes Kind gehabt."

(Dieser Artikel ist am 5.12.1999 in der Zeitung "Der Sonntag  in Freiburg" erschienen und darf mit Genehmigung der Redaktion hier wiedergegeben werden.)